Heute ist wieder Fahrstunde. Jens will mich mal durch die Stadt hetzen – das ist ja für die Prüfung auch nicht ganz unwichtig. Auch wenn man 18 Jahre lang Auto gefahren ist, kann man locker durch die Prüfung fallen. Strich 50 fahren. Sperrflächen nicht überfahren. Schulterblick (beim Krad natürlich noch wichtiger, damit man nicht überfahren wird). Das klappt schon.
Ich bin so müde. 7:45 Uhr auf dem Motorrad ist echt keine Zeit für normale Menschen. Jens scheint auch noch nicht so gut drauf zu sein. Ich durfte mir heute so einiges anhören. Das ging auf dem ersten halben Meter schon los. Ich hatte das Krad auf die Straße geschoben und Jens meinte sowas wie „dann wollen wir mal los“. Die 10 Meter entfernte Ampel an der Kreuzung ist noch rot, also ersten Gang rein und ein paar Zentimeter vorrollen. „WAS MACHST DU DENN DA? Du kannst doch nicht einfach losfahren!?„, pöbelt mich meine Stimme im Ohr an. Hä? „Ich bin doch noch gar nicht hinter dir.“ Hat er nicht eben gesagt, dass wir losfahren wollen? „So, ich hab’s doch geschafft. Kannst losfahren und an der Ampel rechts.“ Na, das kann ja was werden, wenn die Stimmung schon jetzt so im Keller ist. Zum Glück ist das Funkgerät nur simplex und ich kann etwas zurückschimpfen. Das ist auf dem Krad aber auch blöd, dass Jens mich nicht hören kann. Wenn man sich nicht sicher ist, kann man ihn ja nichts fragen. Man kann nur das Risiko eingehen, etwas falsch zu machen und dafür Ärger zu bekommen. Die Methode „wenn ich nichts höre, war es wohl richtig“ finde ich dämlich.
Die Strecke heute ist wirklich anstrengend. Jede kleine Straße in Billstedt gucken wir uns genauer an. Erinnert mich an meine Prüfungsfahrt mit dem Auto damals. Die Koordination von Hebeln, Füßen, Schaltern, Augen und Griffen klappt ziemlich gut. Aber die Straßen kenne ich natürlich nicht und vergesse ständig nachzugucken, wie schnell ich eigentlich fahren darf. Rechts vor links ist ja keine Garantie für Tempo 30. Und eine gut ausgebaute Straße kann trotzdem nur Tempo 50 sein. Aber da bin ich nur einmal drauf reingefallen. Ich war mir sicher, dass da 60 sein müsste, aber nach ein paar hundert Metern meinte die Stimme aus dem Off: „Du hängst mich ja ab. Hier ist 50.“ Dafür hab ich auch gelegentlich mal Kommentare bekommen, dass ich nicht schneller als 30 fahren soll, obwohl die Nadel brav auf genau der Zahl stand.
„Wenn du die Fahrspuren wechselst, musst du gucken und blinken.“ Aber ich fahre doch nur an parkenden Autos vorbei. Wer soll denn da neben mir sein? „Autofahrer können dich überholen und dann fährst du in sie rein.“ Also fahren wir in jedes nervige Wohngebiet mit jeder Menge Parkbuchten und ich gucke und blinke was das Zeug hält. Und obwohl ich das bestimmt zwanzig mal richtig gemacht habe, ist es mir einmal durch die Lappen gegangen. Die Kritik kam prompt. Muss ich eigentlich auch wieder nachts rechts zurückblinken? Müsste doch eigentlich so sein. Aber Jens sagt nichts. Muss ich ihn nachher noch mal fragen.
Auf der Hauptstraße sollte ich dann an der Ampel links abbiegen. Von der anderen Seite wollten zwei fette Lastwagen abbiegen. Ich habe also so ziemlich gar nichts gesehen. Da jetzt losfahren? Bin doch nicht lebensmüde. Ich werde warten, bis die Laster weg sind. Hätte ich mit dem Auto nicht anders gemacht. „Nicht stehen bleiben. Du musst dich in die Kreuzung reintasten.„, empfiehlt mein Mann im Ohr. Keine Chance. Ich warte auf den Grünpfeil und düse dann erst los. Solche Kamikaze-Manöver kann er ganz alleine machen.
Am Ende eines Wohngebiets geht es auf eine vierspurige Hauptstraße. „Hier wollen wir rechts abbiegen und danach gleich wieder links.“ Ich hätte auf der linken Spur landen müssen, aber die Straße war mir zu unübersichtlich und ich wollte erstmal nur auf die rechte Spur. Dabei bin ich auch etwas zu schnell angefahren und mein Bogen war zu groß, so dass ich zu dicht an der gestrichelten Linie war. Das gefiel Jens gar nicht. Er dachte, ich will erst auf die linke Spur und korrigiere dann nach rechts. So war das aber gar nicht gedacht. Er meinte, es wäre völlig legal, wenn man solange beim Abbiegen wartet, bis die Spur frei ist, auf die man fahren möchte. Dann müssen die hinter einem eben warten.
Eine Weile später soll ich links abbiegen. Ich nehme aber den Bogen nicht weit genug und wäre beinahe in eine Sperrfläche gefahren. Also noch mal korrigieren und haarscharf an der Sperrfläche vorbeigefahren. Aber Jens sieht natürlich jeden kleinen Fehler. Das gab zumindest Abzüge in der B-Note.
Dann ging es durch Wohngebiete. Bei rechts-vor-links stand rechts ein Autofahrer. Der wollte mich durchwinken. Aber sicherheitshalber halte ich ganz an und winke ihn durch. Er winkt zurück. Blöde Situation. Bei meiner Auto-Fahrprüfung war es ähnlich: ich bin an einem Zebrastreifen weitergefahren, weil mich der befußte Verkehrsteilnehmer durchwinkte. Der Prüfer hat mich damals für durchgefallen erklärt. Erst nach einiger Empörung und intensiven Einwirkens meines Fahrlehrers durfte ich weiterfahren. Aber Jens sieht das anscheinend anders: „Wenn der dich durchwinkt, kannst du ruhig fahren.“
In einer verkehrsberuhigten Zone bin ich brav im ersten Gang und fahre extrem aufmerksam. „Du musst Schrittgeschwindigkeit fahren. Das ist noch langsamer. Ich weiß, das ist schwierig.“ Okay. Am Ende der Zone komme ich zurück auf die Straße. Eine Frau mit einem Auto kommt von links und meint wohl, hier wäre rechts von links. Aber bekanntermaßen hat man keine Vorfahrt, wenn man aus einer verkehrsberuhigten Zone kommt. Das sieht sie anders und will mich durchwinken. Das ist zwar ganz lieb, aber sollte sie dann doch los- und in mich reinfahren, liege ich auf der Straße und sie hätte auch noch Recht. Endlich fährt sie durch.
Beim Abbiegen nach links von einer Hauptstraße rät mir Jens, dicht an die Mittellinie heranzufahren, damit die anderen Autos an mir leichter vorbeifahren können. Das finde ich eigentlich eher gefährlich. Immerhin fahren die anderen Leute nicht immer auf ihrer Spur und können mich leicht anfahren. Naja, ich mach es mal.
Nach einem Wohngebiet halte ich brav an einer roten Ampel hinter zwei Autos. Dabei blockiere ich die Querstraße von rechts. Es ist zwar nicht unbedingt erforderlich, die Straße freizuhalten, aber gut für die B-Note. Aber ich war so mit den ganzen Schildern, den Pfeilen auf der Straße zum einordnen und den Autos vor mir beschäftigt, dass ich nicht noch Platz im Kopf für die blöde Querstraße hatte. Und ich glaube, diese Priorisierung ist auch sinnvoller. Zum Ausgleich lasse ich eine Autofahrerin in einer Schlange vor der nächsten roten Ampel von einer Ausfahrt vor mir rein. Und wieder was für das positive Image von Krad-Piloten getan. 🙂
Die Fahrstunde war fast vorbei, als wir aus einem Wohngebiet mit STOP-Schild kamen. Es war keine Haltlinie auf den Boden gepinselt – ergo: an der Sichtlinie anhalten. Und die ist schließlich da, wo man dicht genug an der Straße ist, um den Verkehr einsehen zu können. Brav angehalten. Die Straße ist frei. Losfahren. „Jetzt bist du gerade durchgefallen.„, meinte Jens mit einem leicht fiesen Unterton. Menno! Wieso das denn? Das erklärt er mir aber erst, als wir wieder zurück in der Fahrschule sind. „Wo musst du halten, wenn keine Haltlinie da ist?“ „An der Sichtlinie. Und das hab ich auch brav gemacht.“ Aber Jens meint, ich hätte dichter an die Straße fahren müssen. Dass ich den Verkehr von dort aus gut einsehen konnte, hat er mir nicht geglaubt. Angeblich hätte ich überholende Fahrzeuge von rechts nicht erkennen können. Na, wenn er meint. Nächstes Mal fahre ich also noch dichter an die Straße ran, wenn es dem Herrn Prüfer besser gefällt.
Alles in allem war es heute nur nervig. Es fing blöd an. Und zwischendurch gab es immer nur Kritik. Möge Jens nächste Woche bei den Sonderfahrten besser drauf sein.